Initiationsritus in Evangelion


2012 schrieb ich diese Hausarbeit in einem Seminar zu "Theorien des Heiligen" von Frau Prof. Linda Simonis. Seitdem glaube ich, nichts weiteres zu dieser Serie zu sagen zu haben... Vielleicht ist es wieder an der Zeit, mir die Serie Erneut anzusehen. Eher aber, als dass dieses Schlusswort ewig in der Schublade schlummert, poste ich hier einen Auszug:

3.2-Sekularisierung, die Religion als Fremd

In manchen Punkten wurde schon vorweggenommen, dass, obwohl sich Evangelion mit uralten Fragen der Religion befasst, diese die Eliade in den historischen und ,primitiven’ Kulturen untersucht, die Narration auf die sich diese Analyse bezieht in einer modernen Zeit spielt, sogar in der nahen Zukunft. Obwohl die darin aufgeworfenen Fragen eventuell ,ewige Gültigkeit’ in Bezug auf die Menschheitsgeschichte besitzen, ist der Zeitunterschied keineswegs bedeutungslos, denn es handelt sich hier um eine Kultur die stark säkularisiert ist.
Keine von den Figuren in Evangelion weist ein eigentlich religiöses Verhalten auf.
Misato trägt ihr Kruzifix eher als Andenken ihres Vaters, aber verbindet damit keinerlei christlichen Glauben. Gendou und die Dirigenten von SEELE benutzen zwar religiöses Vokabular und Symbole, doch nur als Bezeichnungen für etwas, was sie als technischen Fortschritt beschreiben (Ein eher paradoxer Fall, auf den später in diesem Kapitel eingegangen werden soll). Shinji und die weiteren Hauptfiguren haben keine Art religiöse Erziehung, sondern sind im Gegenteil sogar spirituell desorientiert.
Eliades grundsätzliche These in Das Heilige und das Profane ist, dass der Mensch nie vollständig säkularisiert sein kann, weil er einerseits "seine Vergangenheit nicht endgültig auslöschen" kann (121), anderseits aber auch, weil das religiöse Denken "die exemplarische Lösung jeder existentiellen Krise" ist, die von Grundfragen der menschlichen Existenz hervorgeht (124). Dies ist in Shinjis Situation ziemlich klar reflektiert. Er ist sehr eindeutig ein Mensch voller existentiellen Krisen, der sich auch ständig um den Sinn seines Lebens und der Welt um ihn herum bemüht. Dieses Bemühen oder diese Suche nach Erkenntnis geht wohl aus seinem "Unbewussten" hervor, wie Eliade sagen würde, ist es Ausdruck eines Grundbedürfnisses nach einer religiösen Antwort zu suchen, auch wenn es keine Indizien dafür in der Gesellschaft gibt.
So fängt Shinji mit dem was Eliade eine "Privatmythologie" nennt (Profane 125) an, indem er über sein eigenes leben, seine Eltern, seine Freunde, seine Ängste und Wünsche reflektiert. Vor allem in The End of Evangelion werden aber diese persönlichen Erfahrungen Parallel mit kosmischen Symbolen gesetzt. Er findet die Seele seiner eigenen Mutter im EVA wieder, welcher den Namen der ersten Mutter der Welt trägt. Rei, die er auch mit seiner Mutter assoziiert, wird ihrerseits zu Lilith, die hier als Ursprung der Menschheit gilt. Er selber wird im EVA stigmatisiert und gekreuzigt. Viele andere Details lassen sich so in Beziehung bringen, doch soweit besteht das Argument darin, dass diese Parallele erst einmal aufgestellt sind und einen Bedarf in Shinji widerspiegeln. Im nächsten Kapitel wird versucht, einige von ihnen einzeln zu interpretieren.
Allerdings lassen die wenigen Erläuterungen, die in den Filmen zu den einzelnen Symbolen gegeben werden, den Schluss zu, dass Shinji selbst diese nicht genau versteht. Da er keine Bildung zum religiösen Bewusstsein bekommen hat, erscheint auch dass, was aus ihm selbst hervorgeht, fremd und mysteriös.

Ein weiteres Zitat von Eliade über das säkularisierende Denken passt aber allerdings viel genauer, nicht zur Einstellung Shinjis, sondern zur generellen Situation, die von NERV erstellt wurde:
Der Mensch macht sich selbst, und er kann sich nur wirklich selbst machen in dem Maas, als er sich selbst und die Welt desakralisiert. Das Sakrale steht zwischen ihm und seiner Freiheit. Er kann nicht er selbst werden, ehe er nicht vollends demystifiziert ist. Er kann nicht wirklich frei sein, ehe er den letzten Gott getötet hat.(Profane 120)
Von einer aufklärerischen Perspektive aus, ist die traditionelle Religion dem Menschen feindlich. Alles, was durch den intuitiven Prozess des Mythos hervorgegangen ist, muss vernichtet werden, um die wahre Sekularisierung zu erreichen. So stehen auch die alten Götter und Engel nun dem Menschen als bedrohlich gegenüber und müssen auch aus dieser Perspektive vernichtet werden.
In Evangelion ist letztendlich der Mensch nicht nur in einem Kampf ums Überleben, sondern in einem Wettkampf um "eins mit Gott" zu werden. Im areligiösen Modell, wie es auch Eliade beschreibt, wird der Mensch schließlich zu seinem eigenen Ideal, zu seinen eigenen Gott, indem er alle anderen Götter beseitigt und ein rein rationales Weltbild anstrebt. Evangelion stimmt darin mit den Ausführungen Eliades’ überein, dass die Einstellung zur Sekularisierung als ziemlich radikal dargestellt wird.
Eine derartige Tendez wäre laut Eliade "tragisch" und unmöglich, denn: "Ein reiner Vernunfstmensch ist eine Abstraktion, die in der Wirklichkeit nirgends auftritt" (124). In Evangelion, dagegen, wird die Utopie durch fantastische Elemente möglich gemacht. Genauer gesagt, es ist die Beschwörung von Lilith, die die Menschheit in dessen "höheren Zustand" bringen soll. Dieser Prozess ist einerseits mit unzähligen wissenschaftlichen und pseudo-wissenschaftlichen Science-Fiction Begriffen umzingelt: die nummerierten Evangelion "Einheiten", von denen die 00 ein "Test Type" ist, der "Magi" Supercomputer, die Genomstudien der Engel oder dessen Blulthypus, das "absolute terror field", die "S2 unit", usw. Auf der visuellen Ebene wird dies von den ständigen farbflächigen Computergraphiken dargestellt.
Anderseits aber wird diese neue Technik in der Serie sowohl mit eindeutigen wie hierachischen Namen aus verschiedenen religiösen Traditionen bezeichnet. Die Erscheinung des Vorstands von SEELE wird im Laufe der Filme immer ritualisierter. Aus dieser Perspektive kann man nicht mehr behaupten, dass es sich um ein aufklärerisches Projekt als solches handelt. Im besten Falle könnte man eher unterstellen, dass die Sekularisierung als solche hier als ein grundlegendes religiöses Phänomen dargestellt wird, wie Paradox dies auch klingen mag. Der Mensch, der die Wissenschaft an die Stelle der Götter setzt, hat nur einen neuen Gott geschaffen, die religiöse Struktur aber beibehalten.
Diese Kombination von Religion und Wissenschaft stimmt anderseits mit den esoterischen und gnostischen suchen einer "heiligen Wissenschaft" überein. Esoterisch und mystisch sind eigentlich auch die meisten Symbole, die von ihnen benutzt werden: Lilith, der Baum des Sephiroth und die Namen der diversen Engel gehören hauptsächlich der Kabala an. Der Speer von Longinus verweist nicht nur auf die biblische Tradition, sondern auch auf den mittelalterlichen Reliquienkult und die Hoffnung, eine direkte und private Beziehung zu Gott herstellen zu können. Der endlose Knoten, den die EVA-Series auch im Himmel formen, ist ein Symbol des Buddhismus, eine Tradition, die sich auch als Mystik für einen langen Weg zur Erleuchtung präsentiert.
In ihrem esoterischen Charakter heben diese Symbole sich von der Spiritualität des gemeinen Menschen ab und weisen eher auf die Religion als etwas initiatisches, heimliches und entferntes, zu dem die meisten Menschen keinen Zugang haben. Dies als Parallel zur repräsentierten säkularisierten Welt zu sehen, lässt besser erkennen, wie die Situation von Shinji auch einen verbreitete Ungenügenheit der Sekularisierungsprozesses widerspiegelt.


[...]


4.2-Der Mensch im Zentrum des Universums



Viel von der Struktur der heiligen Symbole bei Eliade hat mit dem Spiegelverhältnis von Mensch und Welt ab. Der Charakter des Menschen ist durch seine Umgebung bedingt, doch die Umwelt selbst wird auch Symbol und Verkörperlichung, sogar als ideales Vorbild der menschlichen Sitten wahrgenommen. Der religiöse Mensch "findet in sich selbst die Heiligkeit wieder, die er im Kosmos erkennt. Infolgedessen setzt er sein Leben dem kosmischen Leben homolog"(Profane 96).



Eine solch klar parallelistische Struktur können wir in Death and Rebirth schon durch die Verwandlung von Shinji und der Landschaft bemerken: Der Junge strebt zwar immer stärker nach einer sozialen Anerkennung und überwindet einige seiner Ängste, doch er verliert auf grausame Weise alle Menschen an die er glaubt: Rei stirbt und ihr Klon benimmt sich sichtbar anders, Asuka fällt in Depression und anschließend ins Koma, er selbst verliert sein Vertrauen an Misato und Kaworu, der Shinji sagt, er liebe ihn, stellt sich als ein verborgener Engel heraus, den Shinji selber töten muss. Zu Anfang von The End of Evangelion ist Shinji daher moralisch verwüstet. Verwüstet ist auch die Stadt Tokyo-3: Die vielen Explosionen der Engel hinterlassen Krater, die NERV versucht, als Seen zu tarnen, doch die gegen Ende des ersten Films viel zu offensichtlich sind. Ein Großteil der Stadt liegt in Trümmern und die meisten Einwohner sind entweder evakuiert oder vernichtet worden.
Dies ist aber nur eine Vorausdeutung auf die größeren Symbole, mit denen Shinjis Einzelfall zum kosmischen Ereignis gemacht wird. Bereits in Teil 3.2 wurde darauf hingedeutet, dass seine "Privatmythologie" mit älteren religiösen Symbolen in Verbindung gesetzt wird, welches auch genau durch diesen Parallelismus zwischen Privatleben und Landschaft geschieht und wir jetzt genauer erklären können.
Das mütterliche Prinzip, welches schon mehrmals indirekt erwähnt wurde, lässt sich in vielen weiteren Symbolen der Geschichte außer Yui und Misato lesen. Viele haben dabei einen mehr oder weniger eindeutigen religiösen Ursprung. Die Abkürzung EVA trägt schließlich den Namen der ersten Mutter der Menschheit in der abrahamischen Tradition. Diese ist vor allem dadurch bedeutungsvoll, dass im inneren der Evangelions tatsächlich die Seelen der Mütter der Piloten verweilen, welches auch der Grund ist, warum nur die Children sie betreiben können. Hierdurch entsteht eine Situation, in der das Innere des EVAs gut mit dem Uterus verglichen werden kann. Auch dieser Ort ist schließlich ein kleiner Raum in inneren eines größeren Lebewesens, gefüllt mit einer organischen Flüssigkeit (LCL), und wird öfters als angenehm und sicher beschrieben. Als Misato Shinji mit einem sexuellen Versprechen in den EVA schickt, ist die Szene auf dieser Ebene auch wieder höchst ödipisch: Das Eindringen in einem fremden Körper wird mit der Rückkehr in die Gebärmutter assoziiert. Die Beziehung mit der Mutter ist also gleichzeitig, wie schon in Teil 2.2 suggeriert, die Rückkehr zum Ursprung sowie die Vollendung eines gewünschten Geschlechtsaktes.
Shinji wird aber nicht nur im Zentrum der Gebärmutter dargestellt: Die Symbole überlagern und verschachteln sich hier buchstäblich ineinander in einer langen Kette. Der EVA01 wird seinerseits von den EVA-series mit den Speer von Longinus umwickelt, um sich in den Baum des Lebens zu verwandeln. Wie Fuyutsuki kommentiert, stellt dieser die Ewigkeit in ihren verschiedenen Deutungen dar: Die Verweigerung in einem einzigen, unveränderlichen Zustand der Vollkommenheit oder die Wiedergeburt, die auf immer Neuem das Leben unendlich macht (Dazu siehe 4.3). Beide Möglichkeiten kann man auch aus der Vereinung mit dem mütterlichen Prinzip deuten, denn Geburt und Vollkommenheit liegen beim Freudschen Ödipus beide im Mutterleib.
Ein weiteres Element der Kette, welches uns noch ein mal zum mütterlichen Prinzip bringt, ist Rei Ayanami. In Shinjis Privatmythologie ist sie sichtlich mit seiner Mutter assoziiert: Sie sieht Yui nicht nur ähnlich, sondern unterhält auch eine sehr besondere Beziehung mit Shinjis Vater. Shinji meint auch, spontan und unbewusst, dass Rei "eine gute Mutter" sein würde. Shinjis quasiromantisches Interesse in Rei wird somit noch ein Fall des Ödipus.
Rei verwandelt sich in End of Evangelion in Lilith, welche hier als wirklicher Ursprung der Menschheit beschrieben wird. Der Plan zur Vollendung der Menschheit besteht darin, durch Lilith zurück in die Vollkommenheit vor dem Ursprung zu gelangen. An diesem Prozess nimmt unausweichlich die Gesamtheit der Menschheit Teil. Rei taucht in der Sequenz nicht nur als riesige, weise Figur auf, sondern auch als multiplizierte geisterhafte Vision, die jedem einzelnen Menschen mit in den Prozess einbringt.
Rei ist in diesem Sinne ein abstrakteres Prinzip des kosmischen Ursprungs, eine verfremdete Mutterfigur die das Prinzip strickt unheimlich macht (Freud, Unheimliche 268), denn was einst vertraut war scheint in ihr auch heilig, d.h. gleichzeitig übermächtig und monströs.
In ihrer riesigen Form öffnet sich auf Liliths Stirn ein drittes Auge, welches in der indischen Tradition die mystische Erfahrung repräsentiert und hier in erster Instanz Liliths Rolle als transzendentes Prinzip unterstreicht. Durch dieses Auge kommt der zuvor erörterte Baum des Lebens ins Innere Liliths und befindet sich dort im Vortex einer Spirale in der die Seelen der ganzen Menschheit zusammenkommen. Deute man jetzt die Kette als Ganzes: Shinjis Beziehung zu seiner Mutter(EVA), die ihn zurück in die Vollkommenheit vor der Geburt bringt (Baum des Lebens), wird durch die mystische Erfahrung (drittes Auge) zum Prinzip des kosmischen Ursprungs (Lilith).
Es ist kein Wunder, dass hier viele Mediationen zwischen dem Menschlichen und dem Heiligen nötig sind, vor allem dann, wenn der Begriff des Sacer aufgerufen wurde. EVA als Shinjis eigene Mutter ist eine Zwischenebene auf der noch das Vertrauen stärker als das Wunder ist, doch insofern sie verstorben ist, kann sie auch als Sacer am Rande der Existenz einen passenden Ort finden.
Shinjis Einzelfall wird also hier zu etwas Exemplarischen gemacht, erfüllt eine der wichtigsten Funktionen die Eliade dem Mythos zuschreibt (Profane 56). Eine weitere Funktion von Mythos und Ritual wird aber gleichzeitig viel emphatischer inszeniert, nicht durch die einzelnen Symbole, sondern gerade durch dessen verschachtelten Struktur: Im Moment des Heiligen denkt sich der Mensch im Zentrum des Universums, denn das Heiligtum ist für Eliade eine fundamental ontologische Funktion, durch die das Reale überhaupt Sinn gegeben und dadurch in Existenz gerufen wird, also indem aus dem Chaos der Kosmos hervorgeht (Profane 13). In Evangelion wird hervorgehoben, dass dieser Akt ganz spezifisch vom Subjekt abhängt, denn Shinji kann aktiv und differenziert entscheiden, inwiefern er die Welt annimmt oder verneint. Dies ist ein besonderer Unterschied, der weiter zur Natur dieser wesentlichen Entscheidung bringt, denn es handelt sich auch um die Frage der Struktur der mythischen Zeit.

4.3-Die Ewige Rückkehr

Eliade beschreibt die Struktur des Mythos und Rituals als die einer "ewigen Rückkehr". Durch die Erzählung des Mythos und dessen rituellen Erlebnis wird der Schöpfungsakt wieder gegenwärtig gemacht. Die Welt startet vom neuen und der Mensch, das Subjekt im Zentrum des Kosmos, nimmt an dieser Schöpfung Teil (Profane 47).
Tatsächlich handelt es sich beim Plan von SEELE um eine Rückkehr zum Ursprung, die die verlorene Vollkommenheit wiederherstellen soll. Im Unterschied zu den meisten Mythen, die Eliade beschreibt, handelt es sich hier aber um eine endgültige Rückkehr: Die Menschheit soll zu einem einzigen Wesen werden und somit die Vollkommenheit erreichen, um sie nicht wieder zu verlieren. Die Zeit wird also nicht wie ein sich wiederholender Kreislauf gedacht. Im besten Falle ist sie noch ein einziger Rundgang, der aber, nachdem er seine Strecke vollständig hinterlegt hat, aufhört.
Viele von den Symbolen die im Ritual beschwört werden weisen auch auf eine Rückkehr zum Anfang und auf einen invertierten Geburtsprozess hin. So kehrt die Menschheit nicht nur zu seiner "Mutter" Lilith zurück, sondern tut dies sogar durch deren "Ei" des schwarzen Mondes. Der Speer von Loginus, der seinerseits die Form einer doppelten Helix, also einer DNA-Partikel hat, wickelt sich nach dem Ritual in ein längliches X auf, das eher an einen Chromosom erinnert. Dadurch wird sogar das Stadium vor der Zeugung referiert, der entfernteste Ursprung wieder aufgesucht.
Der Plan von SEELE hat also einen ähnlich ,ödipischen’ Subtext wie Shinjis Privatmythologie, und die Beteiligung des Protagonisten in diesem Prozess konfrontiert ihn nur noch ein Mal mit den tieferen persönlichen Fragen: Die Versuchung des Rückzugs und die Angst vor der Verwicklung mit der Welt. Andersherum ist zu sehen, dass die Anführer der Menschheit im Film noch die gleichen Bedürfnisse und Einstellung des unsicheren Teenagers haben.
Ein lineares Modell der Zeit, mit Anfang und Ende, wie es der Plan zur Vollendung der Menschheit darstellt, ist dagegen in der abrahamischen Tradition und die davon abgeleiteten Mythologien der Aufklärung zu finden: hier wird nicht eine zyklische Erneuerung der existierenden Welt angestrebt, sondern ein "absolutes Ende der Geschichte"(Profane 122), in dem man zur "Ureinheit des Zustands vor der Schöpfung" zurückkehren will (Religionen 485). Dieser Zustand wäre ein "Überschreiten der Polaritäten" in dem "der Geist einen bedingten, polaren und Bruchstückigen Kosmos transzendiert" (Ibid). Es geht also gerade darum, das Werden als Symptom der Instabilität abzuschaffen und alle Unterschiede als Symptom der Unvollkommenheit in einer gleichförmigen Einheit aufzulösen.
In The End of Evangelion wird so ein Zustand mit mehreren Symbolen dargestellt: Liliths Körper ist eine flüssige Form, die sich ständig verwandelt, welches mit der Absorption von Rei anfängt, über die physische Verwandlung hinweg geht und sogar soweit kommt, eine auch männliche Identität im Gesicht von Kaworu zu finden, denn als kosmische Entität überschreitet Lilith auch das Geschlecht. Die Körper der Menschen zerfließen beim "Third Impact" zuerst alle in die gleiche Substanz einer Ursuppe, und die Seelen begeben sich alle ins innerste einer Spirale. Wenn Shinji an diesen Ort gelangt, überlagern sich eine Unmenge von Bildern und Stimmen, wobei alle spezifische Formen oder Gegensätze unkenntlich werden. Der Rest des Films besteht fast ausschließlich aus Traumvisionen, die versuchen, das spirituelle Vorgehen darzustellen, nachdem die Körper und Einzelidentitäten sich aufgelöst haben. Auch in diesen Visionen sieht Shinji seinen Körper und den von Rei sich gegenseitig überschneiden und durchqueren.
Allerdings wird dieser "höhere Zustand" von Gendou Ikari schon zu Anfang von The End of Evangelion als eine Form des Todes beschrieben: "Der Tod kann nichts erschaffen". Er stellt dieses Ende der Geschichte nicht als die Vollkommenheit dar, sondern als Zerstörung. Philosophisch betrachtet kann man tatsächlich bemerken, dass dieses Modell eine Ablehnung der existierenden Welt in ihrer Komplexität und ihrem Werden enthält.
In diesem Sinne kann man auch die massive Zerstörung in Death and Rebirth weiter deuten, denn es handelt sich um eine Vorbereitung, in der Welt und Mensch (Shinji) von ihren Merkmalen und Sicherheiten entlehrt werden, um ihren Ursprung wieder näher zu kommen. Dieser Ursprung, als Kratophanie, ist aber zugleich auch das definitive Ende, der Tod, der im Film jeden Moment unausweichlicher scheint.
Auch in der Initiation, wie in vielen Riten, erfährt das Subjekt einen symbolischen Tod. Der größte Unterschied hier ist aber, dass Eliade die Möglichkeit des endgültigen Todes ausschließt:


Vor allem aber wird klar, dass der Mensch sich bemüht, den Tod zu besiegen, indem er ihn in einen Übergangsritus verwandelt. Mir anderen Worten: für die Primitiven stirbt der Mensch immer nur einer Existenz ab, die nicht wesentlich war; er stirbt vor allem dem profanen Leben ab. Es kommt so weit, dass der Tod als die höchste Initiation betrachtet wird, als der Anfang einer neuen geistigen Existenz. Mehr noch: Geburt, Tod und Regeneration (=Wiedergeburt) wurden als drei Momente ein und desselben Mysteriums begriffen, und der archaische Mensch verwandte seine ganze geistige Kraft darauf, zu zeigen, dass es zwischen diesen Momenten keinen Bruch geben darf. Man kann nicht bei einen der drei Momenten stehen bleiben wollen. Bewegung und Regeneration gehen immer weiter.(Profane 116)

Der Prozess, den Tod als Symbol zu benutzen, ist also retroaktiv, denn der Tod wird auch selber resemantisiert und zu einer Verwandlung gemacht, eine Transformation die sogar positiven Wert hat. Das Problem dagegen liegt im "stehen bleiben wollen", welches eigentlich gerade das Projekt vom "Ende der Geschichte" und der Vollkommenheit im Plan zur Vollendung der Menschheit ist.

Weiter ist dieser Plan auch problematisch, insofern es sich um ein Streben handelt, in dem der Mensch das Göttliche durch seine profane Macht erobern will. Das Streben nach dem Göttlichen ist dem Begriff selbst inhärent, doch es ist auch paradox, da das Heilige gerade seine Qualität verliert, sobald es profaniert wird und, wie gesagt, nur am Rande der Gesellschaft geduldet werden kann. SEELE betreibt eine Rationalisierung und Instrumentalisierung der Rituale, die von ihnen technifiziert und entartet werden. Eventuell könnte man auch in diese Richtung lesen, dass der Baum des Sephiroth im Himmel eigentlich andersherum erscheint, also mit dem Symbol des Menschen oben und der höchsten Instanz Gottes nach unten. Der Mensch ist sich also bewusst, Gott zu schöpfen und zu benutzen und hat somit längst seinen Respekt vor dem Heiligen verloren.

Durch die Intervention von Shinji aber kann der "Third Impact" immer noch in einen waren Übergangsritus verwandelt werden. Die Zerstörung kann zu einem nur symbolischen Tod, dass heißt also, zu einer Wiedergeburt werden. Fuyutsuki erörtert dass, als der EVA01 in den Baum des Lebens verwickelt ist, er "einem Gott gleich" ist, weil er entweder eine neue Welt schaffen oder alles zerstören kann. Das doppelte Gleichnis bringt einem nicht nur ein weiteres Mal zurück zur Kratophanie, sondern expliziert auch die Wichtigkeit der Rolle, die Shinji in diesem Moment spielt. Der folgende Prozess des "Third Impact" ist nämlich der der Entscheidung.
Die Entscheidung als solche spielt in Eliade eine sehr reduzierte Rolle. Man könnte eher urteilen, dass die traditionellen Gesellschaften, über die er berichtet, eine strickt konservative Mentalität haben, in der alles schon vorbestimmt ist und so bleiben muss, wie es ist. Daher hat der Mensch in diesem Modell kaum etwas über seine Existenz zu entscheiden, denn diese hat sich schon unzählige Male vor ihm ereignet.
Die Abwesenheit von Entscheidung ist allerdings das, was dem Menschen bei Eliade die Unsterblichkeit sichert. Gerade durch die Entscheidung, auf die Shinji trifft, ist er auch dem Versagen ausgesetzt. Er befindet sich, wie gesagt, in einer säkularisierten Gesellschaft, in der er sowohl die Antworten zu seinen existentiellen Fragen wie auch den Platz in der Welt selber finden muss. Wenn man darauf besteht, hier einen Initiationsritus zu sehen, ist es auf jeden Fall einer, in dem der Initiand nicht automatisch in die Gesellschaft geleitet wird, sondern von Grund aus als ein Außenseiter gesehen wird, der seinen eigenen Wert beweisen muss, um mehr als ein Opfer zu sein. Diese Probe des eigenen Werts ist wohl der Grund dessen, warum er, wie vorher bemerkt, im Moment der Initiation mit der Kratophanie ganz alleine ist.
Man muss aber auch noch einmal auf das Spiegelverhältniss zwischen Mensch und Welt zurückkommen, denn es ist nicht nur Shinji, der in diesem Ritus geprüft wird. Was wird überhaupt an ihm geprüft? In seinen Dialogen mit Lilith geht es sowohl um sein Selbstbild als auch um seine Beziehung zu den Anderen. Es ist auch Shinji selbst, der entscheiden muss, ob er die Welt annimmt, wie sie ist, oder sich in seine Träume zurückzieht. Letztendlich steht seine persönliche Einstellung im Mittelpunkt, und eben nicht die Akzeptanz der Gesellschaft ihm gegenüber.
Die Kommentare von Anno, die Lamarre zitiert, reden kritisch über den Unterschied zwischen einer kindlichen und erwachsenen Mentalität. Für den Direktor ist es entscheidend, dass ein Mensch dazu bereit ist, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, anstatt sich in eine individuelle Sicherheitssphäre zurückzuziehen (180). Um die Initiation durchzuhalten, ein erwachsenes Stadion zu erreichen und einen Platz in der Welt zu finden, muss hiernach der Mensch also gleichzeitig die Welt und sich selbst annehmen, was spiegelhaft die Annahme des Subjekts durch die Welt bedeuten würde.
Shinji entscheidet sich dazu, die Welt anzunehmen indem er sie noch ein mal entstehen lässt, sie also fast selbst neu schöpft. In diesem Fall handelt es sich nicht mehr um das Streben nach Vollendung, sondern um eine Reinszenierung des Ursprungs, der auch in die gleiche Richtung gehend, die Welt genau so wieder entstehen lässt. In solch einem Ritus der Wiederkehr, auf den Eliade stark besteht, nimmt der Mensch "die Verantwortung, an der Weltschöpfung mitzuwirken" auf sich (Profane 55). Shinji selbst wäre also nach dem "Third Impact" für die Welt mitverantwortlich. Gerade mit der Verantwortung war, wie am Anfang gezeigt, Shinjis größtes Problem, das viele "Erwachsene" um ihn auch mehr oder weniger teilen. Doch durch diesen Akt von Annahme nimmt Shinji eine diametral andere Position gegenüber der Welt ein und entscheidet sich, in ihr zu leben. Dies ist der entscheidende Sprung in das Erwachsensein.
In der Wiederholung des Ursprungs im Ritus gibt der Mensch auch der Welt um ihn einen neuen Sinn. Genauso gibt Shinji der Welt, die er vorher als Chaos ablehnte, einen neuen Sinn als Kosmos. Eliade schildert auch in diesem Fall das spiegelhafte Verhältnis, doch wie gesagt, nicht als Entscheidung sondern als nötigen Prozess: "Indem der Mensch auf symbolische Weise an der Vernichtung und Neuschöpfung der Welt teilnahm, wurde auch er neu geschaffen; er wurde wiedergeboren und begann eine neue Existenz"(Profane 46). Gleichzeitig können wir auch im Zitat von Eliade ersehen, wie im spiegelhaften Verhältnis Initiation und Ernuerungsritus aufeinandertreffen.
Auch der Mond, mit dem Lilith in Beziehung steht, ist nach Eliade ein wichtiges Symbol der Erneuerung und Neuentstehung. Als Himmelskörper ist der Mond stets wandelnd, im Werden, verschwindet sogar manche Nächte ganz, doch kehrt immer wieder zurück. So handelt es sich um ein Symbol der Unendlichkeit ohne ewige Stabilität oder Vollkommenheit, sondern als Teil eines ständigen Erneuerungsprozesses. Der Neumond kann daher gleichzeitig Tod und Neugeburt verkörpern (Religionen 180).
Die Beteiligung an der Neuschöpfung der Welt macht den Menschen allerdings auch zu einer Art Gott, genau wie es die Vollendung der Welt im Sinne der Vollkommenheit tun würde. So kommen wir also zum Zitat von Fuyutsuki zurück und sehen, wie sich beide Vorstellungen der kosmischen Zeit überschneiden und gleichzeitig ausschließen. Wir sehen auch das gleiche Verhältnis zwischen den verschiedenen Arten von Übergangsriten, denn Shinji wird im gleichen Prozess von Opfer zu Initiand und verwandelt so das Purifikationsritual der Gesellschaft in eine persönliche Initiation, in der das Kosmische und das Persönliche wieder zusammenkommen.


[...]

Literatur


Eliade, Mircea. Die Religionen und das Heilige. Frankfurt am Main, Insel 1998
Eliade, Mircea. Das Heilige und das Profane. Hamburg, Rowohlt 1957
Freud, Sigmund. "Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds". In Studienausgabe Bd. V: Sexualleben. Fischer: Frankfurt am Main, 1972.
Freud, Sigmund. "Das Unheimliche". In Studienausgabe Bd. IV. Fischer: Frankfurt am Main, 1972.
Girard, René. Das Heilige und die Gewalt. Frankfurt am Main, Fischer-Taschenbuch 1999.
Johnson-Woods, Toni (Hrsg). Manga. London, Continuum, 2010.
Lamarre, Thomas. The Anime Machine. Minnesota, University of Minnesota, 2009.
Papalini, Vanina A. Anime: mundos tecnológicos, animación japonesa e imaginario social. Tucumán, La Crujía 2006. 

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